
Wohl kaum eine andere Pflanze, die zu unserer heimischen Flora gehört, hat es so schwer, wie das Jakobs-Kreuzkraut. Vor allem unter vielen Pferdeliebhaberinnen und -liebhabern scheint die Abneigung keine Grenzen mehr zu kennen: in den sozialen Medien wird zum Vernichten dieses „miesen Zeugs“ aufgerufen, in der Lokalzeitung stellen sich Menschen vor, die sich die Ausrottung dieser Pflanze zum Ziel gesetzt haben, und bei „Kreuzkraut Challenges“ sollen so viele Pflanzen wie möglich ausgestochen und verbrannt werden. Ja sogar ein großer Wedemarker Naturschutzverein bekämpft das Jakobs-Kreuzkraut auf seinen Flächen.1
Abseits aller – teilweise bis ins Groteske – anmutenden Panikmache wollen wir an dieser Stelle zu faktenbasierter Nüchternheit aufrufen und dazu anregen, sich einmal unvoreingenommen mit dieser Pflanze näher zu beschäftigen. Denn das Jakobs-Kreuzkraut ist ein fester Bestandteil unserer heimischen Natur, und kein atomarer Super-GAU.
Ist das Jakobs-Kreuzkraut eine eingeschleppte Art?
Die klare Antwort: NEIN. Das Jakobs-Kreuzkraut ist eine Pflanzenart, die zur Familie der Korbblütengewächse gehört – wie auch der Löwenzahn – und in Europa beheimatet ist. Auch stimmt es nicht, dass sich das Jakobs-Kreuzkraut in den letzten Jahren erst ausgebreitet hat. Bereits 1885 erwähnt Otto W. Thomé in seinem Standardwerk „Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz“, dass das Jakobs-Kreuzkraut verbreitet und häufig sei. Die mittlerweile stark intensivierte Landwirtschaft hat jedoch durch die massive Verdrängung natürlicher Fressfeinde, wie Hasen und Nagetiere, sowie regulierender Weidetiere, wie Schafe und Ziegen, die dauerhaft flächige Ausbreitung des Jakobs-Kreuzkrauts erst ermöglicht.
Ist das Jakobs-Kreuzkraut giftig?
Die klare Antwort: JA. Das sollte aber niemanden nur ansatzweise aufschrecken lassen, denn Dutzende von Pflanzenarten, die bei uns heimisch und verbreitet sind, sind (stark) giftig. Man denke nur an das Gewöhnliche Maiglöckchen („Giftpflanze des Jahres“ 2014), den Roten Fingerhut („Giftpflanze des Jahres“ 2007) oder die Herbst-Zeitlose (Giftpflanze des Jahres 2010).2 All diese Pflanzen sind wichtige Pfeiler unseres Ökosystems und niemand käme wohl auf die Idee, sie wegen ihrer Giftigkeit bekämpfen zu wollen. So ist aber auch das Jakobs-Kreuzkraut Nahrungsgrundlage für über 170 Tierarten, zum Beispiel für den Jakobskrautbären, einem Schmetterling.


Ein weiteres Beispiel für eine giftige Pflanze: der ebenfalls einheimische Efeu. Sämtliche Pflanzenteile sind giftig. Aber als eine der letzten ergiebigen Nahrungsquellen tummelt sich im Herbst fast alles, was sechs Beine hat – Fliegen, Wespen, Bienen und Schmetterlinge – auf seinen Blüten. Und im ausgehenden Winter sind seine schwarz-blauen Beeren eine hochwillkommene Nahrungsquelle für viele bei uns überwinternden Vögel. Giftigkeit per se ist also nicht nur ziemlich relativ, sondern als Argument gegen das Jakobs-Kreuzkraut auch ziemlich verfehlt.3
Eine akute Vergiftung durch Jakobs-Kreuzkraut ist allein deshalb schon höchst unwahrscheinlich, weil ein darauf sensibel reagierendes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, unrealistisch große Mengen der Pflanze fressen müsste. Ein Pferd beispielsweise müsste 50 Tage lang täglich 1 kg der frischen Pflanze zu sich nehmen. Dabei meiden Pferde und Rinder das Jakobs-Kreuzkraut aufgrund seiner enormen Bitterkeit schon intuitiv. Hingegen fressen es Schafe mit Vorliebe, und auch Ziegen haben keinerlei Probleme. Warum Menschen in Massen etwas zu sich nehmen sollten, das abscheulich bitter schmeckt, konnte bisher auch kein Gegner des Jakobs-Kreuzkrautes erklären. Und vor dem Hintergrund, dass die Kassenschlager deutscher Gartencenter und Baumschulen die Lorbeerkirsche, der Rhododendron und der Lebensbaum sind (alle giftig und in unseren Breiten zudem ökologisch vollkommen wertlos), mutet die Behauptung, dass Menschen durch Jakobs-Kreuzkraut zu Schaden kommen könnten, umso absurder an.


Tatsache ist aber auch, dass Jakobs-Kreuzkraut im Winterfutter bei entsprechender Menge für Pferde und Rinder gefährlich sein kann, da die vor seiner Giftigkeit warnenden Bitterstoffe nach der Mahd schneller als die Giftstoffe abgebaut werden. Allerdings ist bis heute kein einziger Todesfall eines Rindes, Pferdes oder sogar eines Menschen in Deutschland registriert, der sich auf eine Vergiftung durch das Jakobs-Kreuzkraut hat zurückführen lassen.
Fazit
Das Jakobs-Kreuzkraut ist die perfekte Nebelkerze. Von Pferdehaltern, Landwirtschaftskammern und Bauernverbänden zum pflanzlichen Staatsfeind Nr. 1 hochstilisiert, scheint es sich gut zu eignen, um von echten Problemen, wie dem hohen Pestizideinsatz, der Düngerbelastung unserer Böden und Gewässer, und dem ungebremsten Verlust der Artenvielfalt abzulenken. Da die intensive Landwirtschaft die flächige Ausbreitung des Jakobs-Kreuzkrautes durch die massive Verdrängung seiner Fressfeinde erst ermöglicht hat, erscheint ihr Ruf nach dessen Vernichtung nun umso abstruser.
Wenn Sie also selbst kein Winterfutter für hochgezüchtete Pferde herstellen, lassen Sie das Jakobs-Kreuzkraut einfach stehen und erzählen anderen Interessierten ein wenig mehr über diese ökologisch wichtige, einheimische Pflanze.
Endnoten
- Insgesamt reagieren die großen Naturschutzverbände NABU und BUND jedoch kritisch auf die Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des Jakobs-Kreuzkrautes. Lesenswert ist z.B. der Offene Brief, welchen der NABU-Landesverband Schleswig-Holstein im Jahr 2015 an den damaligen Umweltminister des Bundeslandes, Robert Habeck, verfasst hat.
Eine Stellungnahme des NABU Bundesfachausschusses „Weidelandschaften und neue Wildnis“ finden Sie hier. Auch der BUND-Landesverband Schleswig-Holstein gibt viele wertvolle Informationen in seinem Diskussionsbeitrag „Fehlgeleitete Kreuz(kraut)züge„. ↩︎ - Die „Giftpflanze des Jahres“ wird seit 2005 jedes Jahr vom Botanischen Sondergarten Hamburg-Wandsbek in öffentlicher Abstimmung gewählt. ↩︎
- Auch Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Auberginen und Zucchini sind übrigens in bestimmten Pflanzenteilen hochgiftig! ↩︎
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